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Saubere Kante

Ob Knirps für Regenschirm, Tempo für Taschentuch oder Tesa für Klebeband: Von Marken, die zum Synonym ihrer Produktgattung werden, träumt jedes Unternehmen. Bohle hat es geschafft: Der Silberschnitt®, ein Glasschneider im Taschenformat, ist die Nummer eins bei Glasverarbeitern in aller Welt. Und seit 80 Jahren bis heute unverzichtbare Basis für den Erfolg des Mittelständlers aus Nordrhein-Westfalen.

Erst zieht sie das Schneidrädchen auf Draht, dann führt sie es behutsam über eine Testscheibe: Bevor ein Glasschneider der Marke Silberschnitt® die Produktionshalle verlässt und etwa in die Vereinigten Arabischen Emirate oder nach Argentinien geliefert wird, prüft Silvia Manjinder jedes Schneidrädchen akribisch. Seit 19 Jahren arbeitet die 48-Jährige in der Qualitätskontrolle bei Bohle. Ihr Credo: Was quietscht und wackelt, fliegt raus. „Es muss gleichmäßig summen und sich an den Fingerspitzen gut anfühlen, nicht ruckeln oder unrund laufen“, sagt Manjinder.

Drang nach unternehmerischer Freiheit

Richtig aussehen heißt für Manjinder: silbern glänzen. Und sie erklärt, warum das Werkzeug, das wie kein anderes für die Kernkompetenz ihres Arbeitgebers steht, so heißt, wie es heißt: Silberschnitt®. Es wurde
benannt nach der silberglänzenden Fissur im Glas, die entsteht, wenn das hochqualitative Schneidrad mit dem passenden Druck über das Glas geführt und dadurch im Innern des Glases die notwendige Spannung erzeugt wird, die es exakt entlang der gewünschten Linie brechen lässt.

Glasschneider sind seit über 80 Jahren im Programm des Mittelständlers, bis heute ist der Klassiker 100.0 das meistverkaufte Produkt bei Bohle. Die Marke Silberschnitt® steht heute für eine komplette Produktpalette, zu der Glasschneider aus Stahl und Hartmetall mit einem in den Griff integrierten Öltank, Glaser-Werkzeuge, Winkel und Schablonen gehören. In zahlreichen Varianten gibt es „den Silberschnitt®“, der doch viel mehr ist als ein bloßes Werkzeug. Denn ähnlich wie Tempo für Taschentuch oder Tesa für Klebeband gilt der Silberschnitt® in vielen Ländern der Welt als Synonym für den Glasschneider schlechthin. „Der Silberschnitt® ist die Wurzel unseres Familienunternehmens“, sagt Ulrich Bohle, Enkel des Firmengründers Josef Bohle. „Ohne ihn wären wir heute nicht da, wo wir heute sind.“

In der Tat prägt das auf den ersten Blick eher unscheinbare Werkzeug die Firmenhistorie schon früh: Im Zuge der damaligen Wirtschaftskrise verlässt Schlosser Josef Bohle seine Heimat Westfalen und zieht nach
Solingen, gewissermaßen in Deutschlands Hauptstadt für den perfekten Schnitt. In der Produktion von Messern, Klingen oder Scheren sind Solinger Unternehmen weltweit führend, das Gros der deutschen Schneidwaren- und Besteckbranche ist damals wie heute in dem beschaulichen Städtchen im Bergischen ansässig. Auch Josef Bohle will hier sein Glück als Unternehmer versuchen. Er richtet sich in der Werkstatt seines Schwagers eine kleine Ecke ein und beginnt, Schneidrädchen zu produzieren.
Zu den ersten Kunden zählen Hersteller von Taschenmessern, die damals auch mit einem Glasschneidrädchen bestückt sind.

Tradition optimiert

Bald aber macht Josef Bohle eine neue Kundengruppe aus: Glaser. Denn Glas zu schneiden und zu brechen ist damals noch ein diffiziles Unterfangen: Bei weniger kostspieligen Verarbeitungen ist es Usus, das Glas zu ritzen und zu brechen. Bei hochwertigen Produkten greifen die Glaser zu Diamanten. Die aber sind sehr teuer und fordern den Handwerkern viel Geschick ab: Sie müssen das wertvolle Werkzeug entsprechend der Geometrie seines Schliffs am Glas entlangführen. „Mein Großvater hat erkannt, dass man das optimieren kann“, sagt Ulrich Bohle. Also fertigt Josef Bohle ein Schneidrad aus hochlegiertem Stahl, schleift es, fasst es in einen Holzschaft und führt es Glasern vor. Die sind auf Anhieb überzeugt. In der Folgezeit optimieren  osef und sein Sohn August, der inzwischen in den väterlichen Betrieb eingetreten ist, das Werkzeug, nennen es Silberschnitt® und lassen es 1936 offiziell als Marke eintragen.

Besser als Gold

Damit ist der Grundstein gelegt für eine glänzende Zukunft des Familienunternehmens: Josef und August Bohle entwickeln ihr Vorzeigeprodukt ständig weiter. Sie erhöhen beispielsweise die Zahl der
Schneidrädchen auf sechs, montiert in einer drehbaren Rosette – wird eines stumpf, hat der Glaser fünf weitere in Reserve. Nach 1945 beginnt Bohle, Schneidrädchen aus Hartmetall herzustellen, die Produktion steigt enorm. Der Silberschnitt® wird national und international ein Verkaufsschlager – trotz seines vermeintlich außerhalb Deutschlands unaussprechlichen Namens. „Silber-Snitt“ – an den Namen gewöhnten sich die Kunden schnell. „Manchmal wurde mein Vater August sogar als ‚Herr Silberschnitt®‘ angesprochen“, erinnert sich Ulrich Bohle. Der Erfolg lockt schon bald Trittbrettfahrer an – ohne Erfolg: „Goldschnitt“, der Glasschneider eines Konkurrenten, verschwindet bald wieder vom Markt.

Von der Metallrädchen-Manufaktur zum Maschinenbauer

1972 – das Familienunternehmen war inzwischen von Solingen ins benachbarte Haan gezogen – beginnt Bohle, die Stahlrädchen statt von Hand per Maschine zu schleifen und zu montieren. „Die maschinelle 
Fertigung ermöglichte Massenfertigung bei höchster Qualität“, sagt Ulrich Bohle, der zu dieser Zeit mit seinem Bruder Norbert bereits die Leitung des Familienunternehmens übernommen hatte. Die Produktion stieg so rasch auf bis zu 4,2 Millionen maschinell produzierte Rädchen pro Jahr – eine Entwicklung, die nicht nur Fragen organisatorischer Effizienz aufwarf: „Produktionsanlagen, mit denen man kleine Stahlrädchen herstellt,kann man nicht kaufen“, sagt der studierte Maschinenbauer Bohle damals, in der Geschäftsführung zuständig für die technischen Abläufe. „Als wir unsere Fertigung automatisierten, sind wir zwangsläufig zu Maschinenbauern geworden.“

Beliebt in aller Welt

Zwar ordern Glaser in Deutschland und anderen westlichen Industrienationen ihre Ware mittlerweile auf Maß ab Werk. Dennoch ist bis heute, 80 Jahre  nach der Eintragung des Silberschnitts als Marke, das legendäre Modell 100.0 – benannt nach der Bestellnummer – immer noch das meistverkaufte Produkt bei Bohle, ausgeliefert in alle Welt, von Polen über die Türkei in den Nahen und Mittleren Osten bis nach Mexiko.

„Der Silberschnitt® ist nach wie vor ein großartiges Produkt“, sagt Ulrich Bohle, der 2006 aus dem operativen Geschäft ausschied und dem Aufsichtsrat des Familienunternehmens weiter beratend zur Seite steht. „Aber man muss mit der Zeit gehen und auch für die Zukunft des Unternehmens Sorge tragen.“ 

Heißt konkret: die stete Weiterentwicklung zum Silberschnitt® 2.0, weg vom handgeführten Produkt, hin zum maschinellen Einsatz, zur industriellen Schneidtechnik. Mit Laserbearbeitung und Mikrostrukturen, die das Schneiden deutlich verbessern, integriert in vollautomatisierte Anlagen. „Es wird noch viele Entwicklungen geben“, sagt Ulrich Bohle. „Aber eines bleibt: der Wunsch nach einer sauberen Kante.“

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